Pastor Dr. Heinrich Christian Rust hat mein Buch rezensiert. Dafür danke ich ihm herzlich:
Veit Claesberg: Der pastorale Leiter als Prophet. Der Baptistenpastor Arnold Köster (1896-1960) im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Baptismus-Dokumentation 8. Oncken-Archiv Elstal. Elstal 2018 274 S.
Arnold Köster (1896-1960) verstand sich als „Wächter“, als „Verkündiger des prophetischen Wortes“ und als Gemeindepastor. Er wird auch als einer der schärfsten freikirchlichen Kritiker während der Zeit des Nationalsozialismus gesehen.
V. Claesberg legt in seiner sorgfältigen und umfassenden Arbeit nach den historischen Darstellungen von F. Graf –Stuhlhofer (2001) und der vergleichenden Studie von P. Spanring (2013) erstmals eine Untersuchung zu Kösters pastoral-prophetischer Leitung vor. Der Autor sichtet dabei 430 Predigtkonzepte und –mitschriften und weitere Veröffentlichungen von Arnold Kösters, der weit über den Raum der Wiener Baptistengemeinde Einfluss nahm. Köster selber verstand sich nicht als Prophet, ihm wurde aber ein prophetisches Mandat zugesprochen, z.B. im Nachruf von Hans Luckey. Der Baptistenpastor verankerte seinen prophetischen Wächterdienst in dem prophetischen Amt der Gemeinde Jesu Christi. Hier sah Köster sich mit der Gemeinde in der Tradition der alttestamentlichen Propheten, die eine Geschichtsschau vermittelten. Ganz in der Tradition einer heilsgeschichtlich orientierten Theologie, lag der Akzent auf einer eschatologischen Deutung der Gegenwart. Seiner Auffassung nach wolle die Christenheit „an eschatologischen Dingen vorbeikriechen“ (S.148). Dagegen gelte es, die Reichs-Gottes-Sicht der Schriften aufzunehmen. „Wie einst Jesaja, so steht auch heute Br. Köster vor Gott, und wie Mose vor Gott stand und redete, so haben auch wir zu stehen und zu reden.“-„ Wir sind keine Propheten, aber wir haben in dem Bibelbuch das prophetische Wort, das uns nötigt, auf die Zeichen der Zeit zu achten.“ (S.163)
Claesberg fokussiert seine Köster Dokumentation auf die Frage nach dessen Leitungs-und Prophetieverständnis. Dabei setzt der Autor diese in Beziehung zu einigen pastoraltheologischen Zuordnungen (R. Bohren, H-J. Kraus, K. Eickhoff, R. Hoburg, J. Reimer, E. Haubeck u.a). Er unterscheidet zwischen der Dimension, der Aufgabe, der Funktion oder dem Amt der Prophetie nach Epheser 4,11, und geht nicht von der Einzelperson, sondern gleich Köster von der Gesamtverortung des prophetischen Amtes in der Gemeinde Jesu aus. Claesberg : „Pastoral-prophetische Leitung- vorwiegend in Form der Verkündigung- dient der Kirche zur konkreten Ermutigung und ist das notwendige Sprechen eines Verkündigers in die für die Gemeinde aktuelle Gegenwart durch die Auslegung biblischer, prophetischer und eschatologischer Texte, mit durchaus politischer Dimension, um die Gemeinde auf Kurs zu halten.“ (S. 55). Eine solche Leitung sollte allerdings im Team geschehen, was bei Kösters nicht erkennbar ist. Claesberg räumt ein, dass Köster zwar als leitender Pastor und Kybernet der Gemeinde eine Sprecherfunktion wahrnahm, redet allerdings auch vom „Köster-Paradoxon: Kein Prophet und doch einer“ (S.177). Die Spannung entsteht, da Köster selber die Verankerung der prophetischen Dimension auf die Lehre und Deutung alttestamentlicher und neutestamentlicher Prophetie konzentrierte. Damit wurde quasi das für Prophetie grundlegende Offenbarungselement auf die Deutung und Auslegung- sprich Verkündigung in Wort und Schrift- reduziert. – Die Studie von V. Claesberg stellt diese Ausgangssituation immer wieder dar, aber legt keinen Diskus zum Prophetieverständnis, bzw. zu einer charismatisch orientierten Auslegung von Epheser 4,11 (Fünffältiger Dienst) vor. Es gelingt Claesberg hingegen hervorragend, die historischen Forschungen zu Köster zu ergänzen und zusammenzustellen. Inwiefern Köster sich selber als „Biblizist“ verstand, geht aus der Studie nicht eindeutig hervor, jedoch die Betonung der typologischen Auslegung der biblischen Propheten. Köster wird vorgestellt als ein Mann der Verkündigung, eine Stimme des Widerstandes gegen menschliche Ideologien.
In der Zusammenfassung nimmt Claesberg nur kurz auf die kritischen Stimmen in der Kösterforschung Bezug, die in der Betonung der Wiederkunft Jesu bei Köster gleichsam eine lähmende Auswirkung auf die Evangelisation, Diakonie und Ethik ausmachen. „Die Gefahr des Rückzugs aus der Welt war bei Kösters Predigtweise sicher gegeben.“(S.234). Köster, der Hitler als einen antichristlichen Typus verurteilte, war ein Warner und Wächter und er leitete die Gemeinde zum Widerstand zu einer solchen ideologischen Vereinnahmung an. Jedoch betrat Köster keine weiteren Stufen des aktiven Widerstandes; er war „judenfreudlich“, aber forderte in seinen Predigten nie dazu auf, die Judenverfolgung einzustellen. Warum der Einfluss Kösters im deutschen Baptismus sich in Grenzen hielt, kann nur vermutet werden.
Die acht Kapitel umfassende und sorgfältige Forschungsarbeit von Claesberg lädt ein, die Stellung der Freikirchen im nationalsozialistischen Unrechtssystem noch genauer zu betrachten und die Motive zum Widerstand differenzierter wahrzunehmen. Sie ist zugleich ein wertvoller Impuls für pastorale Verantwortung in aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen.
Dr. Heinrich Christian Rust
Frühjahr 2019