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Kirche/Gemeinde Rezensionen

Rezension: Relevante Gemeinde

Relevante Gemeinde, Heinrich Christian RustRust, Heinrich Christian, Relevante Gemeinde, Kassel: Oncken 2/2010
4 von 5 Punkten

Dieses Buch ist ein Buch für alle, die sich in einer älteren, durchschnittlichen,  „normalen“ und freikirchlichen Gemeinde engagieren und ein starkes Anliegen für ihre Ortsgemeinde haben. Deswegen finde ich dieses Buch so gut und deswegen habe ich es begeistert gelesen. Endlich mal ein Buch für solche Leute, die die Fragen bewegen, ob die verfassten Freikirchen noch eine Zukunft haben oder ob nicht völlig neue Formen gefragt sind?
Das Buch ist allerdings auf nur 63 Seiten sehr dicht geschrieben. Einige Fragen werden auch nur aufgeworfen und nicht klar beantwortet. Hier muss man dann selber weiterdenken und zu Ergebnissen kommen. Es reißt also vieles an, was dann in die Gemeindepraxis einfließen muss.

Auf nur 63 Seiten trifft Rust meines Erachtens die wesentlichen Punkte, die für o.g. Zielgruppe wichtig sind. Sie sind in 5 Kapiteln unterteilt:
1. Liebe und Liebeskummer
2. Für wen ist Gemeinde Jesus Christi relevant?
3. Die Bedeutung der Gestalt der Gemeinde?
4. Welche Bedeutung hat die Konfession einer Gemeinde?
5. Relevanz durch die Bindung an Jesus Christus

In Kapitel 1 stellt Rust fest, dass es viele Christen gibt, die enttäuscht von ihrer „klassischen freikirchlichen“ Gemeinde sind, „…die in ihrer Bravheit und gesellschaftlichen Angepasstheit kaum noch etwas von dem >Licht der Welt< ausstrahlen.“ (6) Zu dieser Gruppe gehören vor allen Dingen auch junge Leute. Sie wollen zwar Gemeinde leben, finden aber in der klassischen Freikirche kein Zuhause mehr. Das wirft die Frage nach der Relevanz aus. Kann man die überhaupt messen? Viele neue aufkommende Gemeindemodelle scheinen relevanter zu sein. Besonders die Emerging-Church-Bewegung stellt vieles der bisherigen Modelle in Frage. „Wie stellen wir uns in den verfassten Freikirchen dieser massiven Infragestellung unserer Traditionen und unseres gemeindlichen Ansatzes?“ (8) Wann ist also eine Gemeinde relevant, wichtig, wichtiger gegenüber anderen Objekten?

Diese Frage wird nun in Kapitel 2 beantwortet. Hier sieht Rust drei Ebenen der Relevanz. Die Relevanz einer Gemeinde für die Gesellschaft. Die Relevanz für den Einzelnen. Die Relevanz einer Gemeinde für ihren Initiator Jesus Christus.
Als Einzelner kann ich in einer Gemeinde in einer verbindlichen Gemeinschaft leben. Hier werde ich geformt und gefördert. Ich feiere das neue Leben im Abendmahl. Wie kann man da eigentlich auf Gemeinde verzichten? Der Trend geht dahin Gemeinde zu verlassen. Hausgemeinden werden gegründet, die oft nicht von Hauskreisen einer verfassten Gemeinde unterschieden werden können, außer dass sie isoliert sind. Rust wirft die Frage aus, was eine Gemeinde zu einer Gemeinde macht? (14f). Im Wesentlichen kann man sagen: „Die regelmäßige Gemeinschaft, die Kommunion im Sinne der Beziehungspflege zu Gott und der gemeinsame Auftrag.“ (15).
Für die Gesellschaft muss Gemeinde Bedeutung haben. Einige sagen: Hinein in die Welt. Wir müssen die Gesellschaft prägen und transformieren. Andere sagen: Raus aus der Welt, oder zumindest: Anders als die Welt. Rust meint, dass wir vielleicht beides parallel machen müssen. „Müssen wir möglicherweise beide Bewegungen parallel vollziehen, um die Salzkraft und die Leuchtkraft zu erhalten: Müssen wir uns trennen und zugleich hineingehen?“ (18). Er plädiert dafür: „Christsein ist eine Berufung zur Weltgestaltung und Weltverantwortung: Salz und Licht gehören in die Welt. Die Mission Gottes ereignet sich das, wo sie auf die Bedürfnisse des Menschen trifft… Jede christliche Mission ist somit auch kontextuell, sie knüpft bei der Kultur an, die sie vorfindet.“ (21) Wie das in einer postmodernen Kultur gehen kann, führt Rust nun auf den Seiten 22-27 aus.
Darüberhinaus hat Gemeinde Bedeutung für Jesus Christus. „Jesus ist ohne seine Gemeinde neutestamentlich überhaupt nicht zu definieren.“ (28) Gemeinde ist die Braut Christi und hat eine super hohe Relevanz für Jesus (28-30). Das heißt aber nicht, dass einzelne Gemeinden oder Gemeindebewegungen an Relevanz verlieren können (31). Dennoch ist es zu früh von einer Bankrotterklärung des Christentums zu reden, wie manche Emerging-Church Vertreter es tun (31-32).

In Kapitel 3 geht es dann um die Bedeutung der Gestalt der Gemeinde, also um die Gemeindekultur. „Das Evangelium ändert sich nicht, aber die Wege, wie wir es präsentieren und in unsere Kultur hineinbringen, die ändern sich.“ (33) Dies zu beachten ist für jede Gemeinde wichtig und es gilt: „Gemeinde Jesu treibt nicht Mission, sie ist Mission, oder sie hört auf Gemeinde Jesu zu sein.“ (34) Und dies kann durch Reformen auch in klassischen Gemeinden immer wieder erkannt werden. Interessant ist hier wie Rust das Gleichnis von dem Wein und den Weinschläuchen auslegt. Alter Wein und neuer Wein bleibt erhalten. Beide Weine haben ihre Berechtigung. Der alte Wein ist sogar beliebter. (34). Gibt es denn für die verfassten Kirchen in Deutschland noch eine Zukunft? die Trends und Entwicklungen in Amerika deuten auf was anders hin. Aber dass die auch für Deutschland gelten, bezweifelt Rust (35). Außerdem besteht hier immer die Erneuerung der verfassten Kirche. Dazu nennt er fünf Grundwerte der Mission, die jede Kirche zu jeder Zeit entdecken muss, wenn sie relevant sein will: Anbetung/Gottesdienst, Gemeinschaft, Evangelisation, Diakonie und Lehre/Jüngerschaft. (38).
Rust führt nun aus, wie man das als Kirche diese Werte heute füllt oder füllen sollte, übt Kritik an einzelnen Formen und zeigt auch neue Wege auf. Hier bekommt man viele Anregungen. Einige Zitate zu den einzelnen Grundwerten:

  • Anbetung/Gottesdienst: „Die gegenwärtige Gottesdienstpraxis in den meisten etablierten Freikirchen ist weit von den partizipierenden Strukturen des im 1.Korinterbrief beschriebenen Modells entfernt.“ (38) „Die Predigtthemen sind häufig anthropozentrisch ausgerichtet…. Es gibt nur wenig Zeiten der Besinnung oder kontemplativen Gotteserfahrung.“ (39) Er spricht von einer musikalischen Monokultur, wobei er hier mehr altes kirchliches Liedgut fordert. Das Abendmahl spielt oft nur eine nicht zu verantwortende Nebenrolle (41). Es gibt keine gesunde Praxis des Sündenbekenntnisses und des Zuspruches der Vergebung.
  • Gemeinschaft: „Die meisten freikirchlichen Gemeinden sind „vergruppt“, aber nicht wirklich vernetzt…. Wir haben viele Projektgruppen, aber wenig Partnerschaften. Man kommt zusammen, um Ziele zu verwirklichen, aber weniger, um das Leben und den Glauben miteinander zu teilen, zu genießen und zu feiern.“ (42) „Leider haben wir wenige Generationen- und milieuübergreifende Gemeinschaftsformen. Die Integration von Menschen aus unterschiedlichen Migrationshintergrund gelingt nur selten richtig gut … Eine Gemeinde, die sich in ihrer Gemeinschaftsbildung vorrangig an der klassischen „heiligen, christlichen“ Familie orientiert, wird in der Postmoderne nur sehr eingeschränkte missionarische Möglichkeiten haben.“ (43) Als Schlüsselwort für die Gemeinschaftsbildung nennt Rust Gastfreundschaft. Außerdem macht er darauf aufmerksam, dass wir verpflichtende Zeitpläne weitgehend in dynamische Zeitpläne umwandeln müssen, was das Gemeindeleben betrifft.
  • Evangelisation: „Kommen heute Menschen anders zum Glauben als früher?“ (46). Wahrheit ist heute nicht wie ein Denksystem zu bewerten, sondern wie eine Person, der man begegnen muss, damit sie sich erschließen kann … Es geht um eine Begegnung mit der Wahrheit, die eine Person ist, um eine ganzheitliche Begegnung mit Jesus Christus.“ (47). Wir müssen Zeugnis von unserer Christuserfahrung ablegen. Vor der Bekehrung gibt es viele Schritte des Vertrauens. Bekehrung geschieht viel prozesshafter als früher. (48) Dazu müssen Evangelisation und Diakonie wieder Hand in Hand gehen. (49)
  • Diakonie: Evangelisation und Diakonie müssen Ausdruck des einen missionarischen Auftrags sein. „Versöhnung zwischen Menschen ist nicht gleichzeitig Versöhnung mit Gott, soziale Aktion ist nicht Evangelisation, politische Befreiung ist nicht Heil. Dennoch bekräftigen wir, dass Evangelisation und soziale wie politische Betätigung gleichermaßen zu unserer Pflicht als Christen gehören. Denn beide sind notwendige Ausdrucksformen unserer Lehre von Gott und dem Menschen, unserer Liebe zum Nächsten und unserem Gehorsam gegenüber Jesus Christus … Wenn Menschen Christus annehmen, kommen sie durch Wiedergeburt in Sein Reich. Sie müssen versuchen, Seine Gerechtigkeit nicht nur darzustellen, sondern sie inmitten einer ungerechten Welt auch auszubreiten. Das Heil, das wir für uns beanspruchen, soll uns in unserer gesamten persönlichen und sozialen Verantwortung verändern. Glaube ohne Werke ist tot.“ (51) „Die Mission Gottes hat immer diese beiden Beine: Die Evangelisation und die Diakonie.“ (52)
  • Lehre und Jüngerschaft: Mittlerweile beschränkt sich für ein Großteil der Christen die Unterweisung auf den Sonntagmorgen, weil Bibelstunde nicht mehr funktioniert und Hauskreise nicht richtig von allen angenommen werden oder zu selbstständig laufen. Wenn die Gottesdienste dazu noch gästeorientiert sind, dann gibt es nicht mehr viel Lehre. Ziel von geistlichem Wachstum muss die zunehmende Liebe sein, zu Gott und den Mitmenschen. Evtl. könnte man dazu verschiedene Seminarangebote einführen, die wählbar sind.

In Kapitel 4 geht es um die Bedeutung der Konfession. Hier schreibt Rust, dass das Denken in geschlossenen Systemen, sei es durch Abgrenzung oder Identitätsmotive, oder durch den Wunsch nach Steuerbarkeit, ist unattraktiv und lähmend geworden (57). Immer mehr Christen rücken zusammen und stärken damit das christliche Zeugnis. Rust sieht sich diesen Trend weiter ausbreiten, auch wenn es hier Gegenstimmen zu gibt. Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen den Konfessionen sind das Thema der Zukunft (60).

Kapitel 5 beschreibt nun abschließend die Relevanz durch die Bindung an Jesus Christus. „Solange Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene in unseren Gemeinden verkündigt und geglaubt wird, wird diese Gemeinde auch Salzkraft haben … Ich habe den Wunsch, dass wir uns deshalb in unserem Bemühen, der Gemeinde mehr Relevanz zu geben, weniger auf die Gestaltungsformen des Gemeindelebens oder auf eine Neubesinnung unseres missionarischen Auftrags konzentrieren, sondern auf ihn selbst: Den Herrn der Gemeinde…. Je fester wir uns an Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen binden, umso weiter wird er uns auch zu den Menschen in diese Welt senden können. Darin liegt die eigentliche Relevanz der Gemeinde.“ (61)

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