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Glaube/Nachfolge Rezensionen

Rezension: Lebensmitte als geistliche Aufgabe

Neues Bild (13)Grün, Anselm, Lebensmitte als geistliche Aufgabe, Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag 172008
4 von 5 Punkten

Einen Tag vor dem 42. Geburtstag darf man auch mal so eine Rezension veröffentlichen;-):

Menschen ab 40 Jahren machen eine Wandlung durch. Man nennt sie auch midlife-crisis, die Krise der Lebensmitte. Diese Krise ist regelrecht „… eine tiefere Existenzkrise, in der die Frage nach dem Sinn des Ganzen gestellt wird …“(:9). Die Klostergemeinschaft, um Anselm Grün herum, hat sich diesem Phänomen gewidmet und untersucht, warum das so ist und wie man dieser Krise der Lebensmitte begegnen kann. Dabei stützen sie sich auf religiöse Erkenntnisse des deutschen Mystikers Johannes Tauler (1300-1361) und auf psychologische Erkenntnisse von C.G. Jung. Das Buch verbindet die beiden Perspektiven und bezeichnet sich als Hilfe auf dem Weg, den Jesus Christus uns führt. In der Einleitung wird deutlich: „Vom Glauben her gesehen ist in dieser Krise Gott selbst am Werk. Er bringt Bewegung in das menschliche Herz, um es für sich aufzubrechen und es von allen Selbsttäuschungen zu befreien. Die Krise als Werk der Gnade, dieser Aspekt erscheint kaum in der umfangreichen Literatur über die Lebensmitte.“ (:9f). Die Krise ist „… zugleich der Ort einer neuen und intensiven Gottesbegegnung und Gotteserfahrung.“ (:10).

Zunächst wird die Bewältigung der Lebensmitte bei Johannes Tauler umfassend dargestellt (:13f). Tauler beschreibt die Krise als Gnade Gottes. Vor dieser Krise kann der Mensch in dreifacher Wiese fliehen (:18f): (1) Er sieht den Reformbedarf nicht bei sich, sondern in den Strukturen seiner Umgebung. (2) Er flieht in äußere religiöse Formen, statt nach innen zu horchen. (3) Er sucht sich immer neue Lebensformen. Keine davon ist die Lösung. Es gilt vielmehr die Zeit der Lebensmitte als entscheidende Stufe auf dem Weg zu Gott zu sehen und als schmerzliche Stufe auf dem Weg der Selbstverwirklichung (:21). Ebenso ungünstig ist die Reaktion des Zurückbleibens oder des Stehenbleibens (:21f). Die Folge davon ist die innere Austrocknung. Die richtige Antwort auf die Krise sieht Tauler daher in der Selbsterkenntnis (:27f). „Tauler … sieht darin das Werk des Heiligen Geistes. Dieser Geist will uns erschüttern, damit wir zu unserer eigenen Wahrheit durchstoßen.“ (:29) Diese Reaktion erfordert dann Gelassenheit (:33f). „Es geht in der Krise der Lebensmitte um einen inneren Führungswechsel. Nicht mehr ich, sondern Gott soll mich führen. In der Krise ist ja schon Gott am Werk, und ich soll ihm nichts in den Weg stellen, dass er sein Werk an mir vollenden kann.“ (:36). Mit dieser Erkenntnis „… verliert die Krise an Bedrohlichkeit und Gefährlichkeit.“ (:37). Daraus folgt dann die „Gottesgeburt“ (:39f). „Gott treibt die Menschen, sich im Gedränge dieser Krise ihrem eigenen Seelengrund zuzuwenden, ihre Ohnmacht und Schwäche zu erkennen und sich ganz Gottes Geist zu überlassen.“ (:39). Die Krise ist also als „geistliche Aufgabe“ zu verstehen (:41).

Dann folgen die Erkenntnisse von C.G. Jung (1875-1961) (:43f). Grün findet es erstaunlich, dass er als Psychologe zu ähnlichen Erkenntnissen wie Tauler kommt. Jung geht bei der menschlichen Entwicklung grundsätzlich von der „Individuation“ aus (:45f). Das ist ein Prozess „… welcher ein psychologisches Individuum, das heißt eine gesonderte, unteilbare Einheit, ein Ganzes, erzeugt.“ (:45). Der Prozess hat zwei große Phasen: Die Expansion in der ersten Lebenshälfte und die Introversion in der zweiten Hälfte. Dabei geht es in der zweiten Lebenshälfte um die Entfaltung des Selbst. Der Wendepunkt zwischen erster und zweiter Lebenshälfte ist die Lebensmitte zwischen 35 und 45 Jahren. „Und das Grundproblem dieser Wende besteht darin, dass der Mensch meint, er könnte mit den Mitteln und Prinzipien der ersten Lebenshälfte nun auch die Aufgaben der zweiten meistern.“ (:48). Aber „Der Nachmittag ist genauso wichtig wie der Vormittag. Doch er folgt eben anderen Gesetzen.“ (:49) Nun gilt es, sich an die innere Realität anzupassen. „Statt Expansion ist nun die Reduktion auf das Wesentliche, der Weg nach innen, Introversion gefordert.“ (:49). Dazu gehört zunächst die „Relativierung der persona“ (:49f). Hier geht es um die Erkenntnis, den Status durch Amt und Titel und den Erwartungen von außen nicht zu entsprechen, sondern seine innere Persönlichkeit zu entwickeln. Dann gehört dazu die „Annahme des Schattens – das Gegensatzproblem“ (:50f). In der zweiten Lebenshälfte gilt es das Unbewusste (den Schatten) anzunehmen, der in der ersten Lebenshälfte eine untergeordnete Rolle spielte. Hier ging es um die Festigung des Ichs, des Bewussten. Jetzt muss man sich auch dem Unbewussten zuwenden. Wer das nicht tut, wird entweder zum Prinzipienreiter (es darf nur eine Richtschnur des Handelns geben) oder er wirft alle Werte über Bord: „Berufsänderungen, Scheidungen, religiöse Wandlungen, …sind Symptome dieses Hinüberschwingens ins Gegenteil.“ (:52). Aber mit der Verdrängung bleibt die Störung des Gleichgewichts. „Man erliegt dem Irrtum, dass der gegenseitige Wert unseren bisherigen Wert aufgehoben hat.“ (:52). Dabei geht es lt. Jung darum, die früheren Werte zusammen mit einer Anerkennung ihres Gegenteils zu erhalten. (:53). Es geht also um Integration. Jetzt wird es sehr psychologisch. Jung meint, dass man das weibliche und männliche Element des Lebens (anima und animus) vereinigen muss. Hört sich komischer und komplizierter an, als dann ausgeführt wird (53f). Grün schließt diesen Abschnitt mit der Erkenntnis, dass anima und animus Archetypen des Menschen sind, „… die nicht in erster Linie mit Mann und Frau zu tun haben, sondern mit der Struktur der menschlichen Seele. Entscheidend ist, dass sich der Mann in der Lebensmitte neu überlegen will, wie er seine Ganzheit leben möchte. Und die Frau muss sich klar werden, was zu ihrem Wesen als Frau alles gehört.“ (:61). Letztlich geht es um die Annahme des Sterbens und die Begegnung mit Gott. „Das eigentliche Problem, vor dem der Mensch in der Lebensmitte steht, ist schließlich seine Haltung gegenüber dem Tod … Nur wenn der Mensch an ein Weiterleben nach dem Tode glaubt, ist das Ende seines irdischen Lebens, ist der Tod ein vernünftiges Ziel.“ (:62). „Für Jung ist das Weiterleben nach dem Tod keine Sache des Glaubens, sondern der psychischen Realität. Die Seele findet es vernünftig. Indem sie sich darauf einrichtet, bleibt sie gesund.“ (:62). „Das Leben hat ein Ziel. In der Jugend besteht das Ziel darin, dass der Mensch sich in der Welt einrichtet und etwas erreicht. Mit der Lebensmitte ändert sich das Ziel. Es liegt nicht auf dem Gipfel, sondern im Tal, dort wo der Aufstieg begann.“ (:63) „Denn leben, lebendig bleiben, reifen kann nur, wer das Gesetz des Lebens annimmt, das sich auf den Tod als sein Ziel hinbewegt.“ (:63). Grün schließt: „Die geistliche Wiedergeburt, das Sich-wandeln-lassen durch Gott, ist die Aufgabe der zweiten Lebenshälfte, eine Aufgabe voller Gefahren, aber auch voller Verheißungen.“ (:67)

Bemerkenswert ist, dass das Buch nun seine 17. Auflage seit 1980 hatte. Mittlerweile ist die Forschung hier auch weitergegangen und man geht momentan von viel mehr Lebenskrisen aus (z.B. die Quarterlife-Krise). So schreibt Grün zum Schluss, der wohl in der neueren Auflage hinzugefügt wurde: „Es gibt zwar die typische Krise der Lebensmitte, doch wir sollten uns darauf nicht fixieren …. So versuche ich, jetzt im Augenblick zu leben, dankbar zu sein für alles, was in und mit mir geschehen ist, und immer offen zu sein für die Herausforderungen, die mir die Gegenwart stellt.“ (:70)

Fazit: Alles in allem ein sehr anregendes Buch für Personen, die sich in der Lebensmitte befinden. Sehr empfehlenswert, auch wenn manche Ausführungen von Jung zunächst befremdlich wirken. Dazu kommt ein super Preis: 6,60 € und man hat die 72 Seiten an einem Abend gelesen.

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Glaube/Nachfolge Rezensionen

Rezension: Einreden

Neues Bild (12)Grün, Anselm, Einreden – Der Umgang mit Gedanken, Münsterschwarzach: Vier Türme Verlag 212001
4 von 5 Punkten

Einreden ist das erste Buch von Anselm Grün, was ich gelesen habe. Anselm Grün ist Benediktinerpater. Das Buch ist einer Reihe des Klosters Münsterschwarzach erschienen. Die Bücher sind kompakt, kurz (93 Seiten), günstig (6,60 €) und schnell zu lesen.

In Einreden macht Grün deutlich, wie Gedanken unser Leben und damit unser Verhalten bestimmen – in negativer und positiver Weise. Dabei geht es teilweise um Praktiken, die viele vielleicht auch als „Stille Zeit“ bezeichnen würden. Nur wesentlich leichter umzusetzen;-).
„Wer sich positiv verändern will, muss an die Wurzel seiner Stimmungen ran – an die >Einreden<.“, lautet es auf dem Cover. „Daher ist es eine wichtige Aufgabe, sich mit den Sätzen zu beschäftigen, die sich in uns von selbst formulieren und die doch eine so immense Wirkung auf unsere Einstellung, auf unsere Stimmung, auf unser Denken, Fühlen und Handeln haben.“ (:12).

Grün greift auf die Geschichte des alten Mönchtums zurück. Dort spielte der Umgang mit Gedanken eine wichtige Rolle. „Wenn wir daher nach Gottes Willen handeln wollen, müssen wir bei unseren Gedanken ansetzen und sie Gottes Geist entsprechen lassen.“ (:14). Dieser spricht durch die Schrift zu uns (:15). „Daher ist die Auswahl der Gedanken, die auf uns einströmen, eine Hauptaufgabe des geistlichen Lebens.“ (:16). In den folgenden Kapiteln lässt er nun die Erkenntnisse dieser weisen Männer einfließen (er nennt sie oft Vätersprüche).
Wir können uns negativ etwas einreden (ab S.19) und natürlich auch positiv (ab S.33). Interessant ist, dass ein alter Mönch z.B. ein Raster hatte, um auf bestimmte in ihm hochkommende Gedanken zu reagieren (:33). So ein Raster kann man sich auch heute zulegen und einüben. Eine Möglichkeit ist es z.B. Bibelverse zu rezitieren. „Wenn mich ein Wort fasziniert, mich unmittelbar betroffen macht, dann ist das ein Zeichen, dass es mich einige Zeit oder sogar ein Leben lang begleiten sollte, dass es mein Übungswort werden könnte.“ (:37). Das fängt schon morgens an: „Wenn du dich vom Schlaf erhebst, so öffne sofort als allererstes deinen Mund zum Lob Gottes und stimme Lieder und Psalmen an …die erste Beschäftigung, mit der sich der Geist morgens abgibt, hält an, … Daher sei du immer der erste, um Weizen hinzuwerfen, bevor dein Feind Unkraut hineinwerfen kann.“ (:37).
Empfehlenswert ist es auch Bibelwörter mit Tätigkeiten zu verbinden. Hier wird Grün sehr alltagspraktisch: „Wenn wir einen Bibelspruch oder ein Gebet aber mit einer Tätigkeit verbinden, die wir sowieso verrichten, dann kostet es keine Energie, einen solchen Vorsatz durchzuhalten … Ob wir einen solchen Vorsatz zur Gewohnheit werden lassen können, ist nicht Sache der Willensstärke, sondern der Klugheit.“ (:38) „… Vorsätze seien das sicherste Mittel, uns daran zu hindern, etwas in unserem Leben in Bewegung zu bringen … Ich flüchte mich vor der Herausforderung des gegenwärtigen Augenblickes in die Unverbindlichkeit der Zukunft … Die Kunst des geistlichen Lebens besteht darin, die kleinen Dinge des Alltags zu einer Einübung in die Gegenwart Gottes zu machen …. Wir müssen ein Programm aufstellen, wie wir uns in kleinen Schritten in den Geist Jesu einüben können, ein bescheidenes Programm, das auch durchführbar ist. Wenn wir nur einen Gang, den wir täglich gehen, zu einer Einübung in die Gegenwart Gottes machen, dann hat sich damit schon etwas Entscheidendes in unserem Leben geändert.“ (:39f). „Man sagt es sich etwa vor, wenn man auf dem Weg zur Arbeit ist oder von der Arbeit kommt, wenn man das Haus betritt, … diese Zeiten und Augenblicke, die immer wiederkehren, plant man bewusst. Man verbindet sie automatisch mit einem Wort, so dass man die Gewähr hat, das Wort trifft mich wenigstens einige Male am Tage.“ (:47). Dabei ist das Wort für ihn kein Zaubermittel, „… aber es ruft in mir etwas wach, es macht mich selbst wacht und stellt mich in die Gegenwart Gottes.“ (:51)
Anschließend geht er auf die psychologische Seite des Einredens ein (ab S.53). Anhand der Transaktionsanalyse macht er deutlich, wie kindlich erlebte „Einschärfungen“ uns bestimmen.
Ab Seite 63 nennt Grün Methoden zum Umgang mit Gedanken. Dazu einige Zitate:

  • „Wir können die negativen Gedanken in uns nicht einfach vertreiben. Das ist auch nicht nötig. Wir sollen aktiv auf sie reagieren. Wir sollen sie nicht unterdrücken, sondern mit ihnen umgehen, mit ihnen kämpfen.“ (:66)
  • „Anstatt uns den Gedanken zu verbieten, lassen wir ihn zu und können offen mit ihm kämpfen. Nur so können wir ihn überwinden, ohne ständige Angst, dass er wieder in uns auftauchen könnte.“ (:67)
  • „Die Vorstellung, dass der schlechte Gedanken von Dämonen stammt, hilft dem Mönch, sich von ihm zu distanzieren und mit ihm wie mit einem äußeren Feind umzugehen. Zumindest befreit sie ihn von den Selbstvorwürfen, die sich viele machen, sobald sie einen verwerflichen Gedanken in sich entdecken.“ (:75)

Mit dem letzten Kapitel „Glauben – so tun als ob“, schließt Grün seinen Band ab. Dabei befreit er den Glauben auch vom Erfahrungsdruck: „Glaube als So-tun-als-ob befreit uns von diesem Druck. Wir brauchen nicht unbedingt etwas zu spüren.“ (:84). „Gott hat mit uns und unserer Welt mehr Möglichkeiten, als wir uns ausdenken können. Und er hat uns in der Schrift seine Möglichkeiten geschildert. Wenn wir so tun, als ob seine Zusagen stimmen, dann können wir freier leben … Das ist keine Flucht vor der Realität in eine Idylle göttlicher Verheißungen, sondern ein Leben aus dem Glauben, der sich vom Faktischen nicht täuschen lässt, sondern feststeht in dem, was wir erhoffen und daher frei ist von dem Druck, alles selbst in die Hand nehmen und leisten zu müssen.“ (:87). Er betont, dass Gottes Geist in uns wohnt. Es ist die andere Realität in uns. „Wir bilden uns in den positiven Einreden nicht Beliebiges ein, sondern wir bilden uns das Wort Gottes ein, weil wir eine Vorahnung haben, dass es stimmt.“ (:89) „Wenn wir einfach so tun, als ob alles stimmt, was uns der Glaube sagt, dann halten wir uns nicht darüber auf, wie wir eigentlich glauben müssten, sondern wir probieren mit all unseren Zweifeln und mit unserem Unglauben und mit unserer Unlust an Gott den Glauben aus.“ (:90)
„Das ist eine sehr alltägliche Form des Glaubens, aber eine Form, die unseren Alltag zu wandeln und zu heilen vermag.“ (:91)
Der Ansatz ist sehr pragmatisch. Deswegen werde ich ihn einfach mal ausprobieren. Und meine ersten Anfänge in dieser Richtung sind vielversprechend. Weil es so einfach ist.

11.02._Gruen_Einreden