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Kirche/Gemeinde Rezensionen

Rezension: Emerging Church

Emerging Church, KimballErkenntnisse aus dem Buch von
Kimball, Dan – Emerging Church, die postmoderne Kirche, Asslar 2005, 261 Seiten

4 von 5 Punkten

Warum ich dieses Buch erst jetzt (2010) gelesen habe?
Ich hatte es kurz nach Erscheinen gekauft als jeder darüber sprach. Ich hatte dann den Eindruck, ich weiß jetzt, was drinnen steht, weil ich so viele Gespräche darüber mitbekommen habe. Aber ich lese aus Prinzip Bücher, die in meinem Regal für zu lesende Bücher stehen. Und jetzt las es sich fast schon wie ein Roman, der eine Zeitenwende und ihre Reaktion der Kirche darauf beschreibt.
Allerdings bin ich davon überzeugt, dass 98 % der traditionellen Gemeinden noch nicht mit der Reaktion auf Erkenntnisse begonnen haben, die Kimball darstellt. Daher ist das Buch brandaktuell.

Emerging Church (aufbrechende/entstehende Kirche) ist keine eigene Kirche oder Konfession. Der Gedanke der Emerging Church, also dass Kirche aufbricht oder neu entsteht, zieht sich durch alle Kirchen – alte und neue. Es gibt keiner Mustergemeinde für Emerging Church, sondern Hunderte und Tausende von Gemeinden, in denen die Emerging Church lebt (:14).
Diese Bewegung ist eine Entwicklung aus dem postmodernen kulturellen Kontext heraus, ohne eine Musterlösung zu sein. Also eine Reformation der aktuellen Kirchenmodelle, damit sie in der neuen Zeit (der Postmoderne/Nachmoderne) überleben kann. Dabei geht es nicht darum, irgendwelche Gemeindemodelle zu kopieren.  Mark Oestreicher: Die Methoden aus der einen Kirche zu nehmen und sie auf eine andere zu übertragen, ohne über den Kontext nachzudenken, ist einer der größten Fehler, der heute in der Kirche gemacht wird. (:30)
Einiges aus dem Buch scheint man in Amerika gerade erst entdeckt zu haben und ist uns in Europa schon lange bekannt. In den USA ist die ganze Gesellschaft christlicher und hat nun auch natürlich stärker die Chance als christliche Gesellschaft auf die Postmoderne zu reagieren (siehe S. 21f). Oestreicher: Westeuropa, Australien und Kanada sind schon seit einigen Jahren postchristlich. Die USA sind es gerade erst geworden. Und Lateinamerika hinkt in diesem Wandel ein Jahrzehnt hinter uns her. (: 67)

Im ersten Teil zeigt Kimball postmoderne Zeitphänomene auf. Dabei ist zu beachten, dass nicht auf einmal alle postmodern denken, sondern sich das Denken nach und nach und immer mehr durchsetzten wird. Sehr hilfreich sind dazu die Schaubilder auf Seite 56f, die den Unterschied zwischen Moderne und Postmoderne und die Zeit des Übergangs, in der wir leben, gut erklären. Einige Kennzeichen:

  • Retro-Spiritualität: Wenn er sich schon die Zeit nähme, in eine Kirche zu gehen, sagte er mir, dann wolle er auch eine echte geistliche Veranstaltung erleben (:25).
  • Mission: Wenn man einmal genauer darüber nachdenkt, ist es eigentlich verrückt: Es soll einfacher sein, in einem heidnischen Land von Gott zu erzählen, als in einem Land, das schon von ihm gehört hat! (:67) … So wie Missionare respektvoll in eine fremde Kultur eintreten, müssen wir uns der postchristlichen Kultur in einem sensiblen Bewusstsein für das herrschende Weltbild nähern und gleichzeitig mutig die frohe Botschaft von Jesus und Gottes Wahrheit verkündigen. (:74)
  • Vielfalt/Wahrnehmung der Gesellschaft von Kirche: Die Kapitel „Schwule buddhistisch-muslimische Christen – ein neuer spiritueller Mix“ und „Ich mag Jesus, aber ich mag die Christen nicht“ halte ich für besonders lesenswert, weil sie wie ein Spiegel sind. – So nimmt uns die Gesellschaft wahr. (65-87)
  • Kirche: Wir können nicht in die Kirche gehen, weil wir die Kirche sind! (:88) … Zur Urgemeinde schreibt er: Man versammelte sich nicht in der Kirche, sondern die Kirche versammelte sich (Apg 14,27). (:89) … Wir stehen „… vor der grundlegenden und entscheidenden Herausforderung, den Menschen beizubringen, dass sie die Kirche sind und nicht nur zur Kirche gehen oder ihr angehören. (:91) Im Mittelpunkt steht nicht mehr der Dienst an der Welt: die Kirche selbst ist in den Mittelpunkt gerückt. Unser Motto hat sich reduziert von: „Wir sind als Kirche dazu da, einer verloren und zerbrochenen Welt zu dienen“, zu: „Was hat die Kirche mir zu bieten?“ (:92 – hier ist auch eine gute Gegenüberstellung zwischen der Konsumentenkirche und der Missionalen Kirche). Sehr gut die Zusammenfassung des Kapitels „Was ist Kirche?“ auf S. 93. Wir sind als Leiter aufgefordert: Sie muss den Menschen deutlich machen, wie die Kirche in die übergreifende Geschichte der Bibel passt. Die Menschen müssen erkennen, in welchem Bezug sie als Individuen und als Teil der Kirche zur Geschichte Gottes stehen. Die Kirche ist ein Instrument Gottes, durch das der Heilige Geist wirkt und seine Liebe zu den Menschen bringt und durch die wie durch Jesus die Welt erlöst und unter Gottes Herrschaft gestellt wird. (:93). Das ist Heilsgeschichte pur, wenn man in der Spannung des „schon jetzt und noch nicht“ bleibt. Ich denke, es wird nicht nur einen einzelnen, allgemein gültigen Ansatz geben, sondern Dutzende, ja sogar Hunderte von verschiedenen Glaubensgemeinschaften, von denen jede den für ihren Kontext einzigartigen Weg gefunden hat. (:97)

Im 2. Teil wird er dann praktisch und gibt Tipps, wie man als Kirche/Gemeinde in der postmoderner werdenden Kultur auftreten kann:

  • Gottesdienste: Hier verfolgt er vier Ansätze:
    1. Ansatz: Schaffen Sie in ihrer Gemeinde altersstufenspezifische Gottesdienste.
    2. Schaffen Sie einen Gottesdienst mit neuen Werten und einem neuen Ansatz, aber bleiben sie eine Gemeinde.
    3. Gestalten Sie ihre bestehenden Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene neu.
    4. Gründen Sie eine neue Gemeinde, um junge Menschen zu erreichen.
    Egal wie sie vorgehen – das Ziel besteht darin, die postmoderne Kultur zu erreichen
    Die Frage, ob ein Gottesdienst für Gläubige oder Nichtgläubige gedacht ist, wurde im Zusammenhang mit den Gottesdiensten für Kirchendistanzierte debattiert. Für die Emerging Church ist das kein großes Thema mehr, denn das, was von den sucherorientierten Gemeinden abgeschafft oder versteckt wurde, ist genau das, was die Nichtgläubigen von heute sehen und erleben wollen (:109).

    Anbetung und Evangelisation sind im Alten und im Neuen Testament in auffälliger Weise miteinander verknüpft. (:110)
    Wir sollten zu einer freien und ungezwungenen Art, Gott anzubeten und zu verkünden, zurückkehren, sodass es in unseren Versammlungen keinen Zweifel darüber gibt, dass der heilige Gott gegenwärtig ist. (:110)
    Ich will damit betonen, dass wir uns als Kirche nicht in erster Linie versammeln, um Menschen zu dienen, sondern um Gott anzubeten. Wortspielerei? (:111)
  • Dann führt er aus, wie ein postmoderner Gottesdienst aussehen könnte und liefert einiges an guten Ideen (:112f): Ganzheitlicher Ansatz – starke Gemeinschaft – nicht konsumorientiert – alle Sinne ansprechend (:121f) – sakrale Räume (:127f): In der postmodernen Kultur steht Dunkelheit für Spiritualität (:130) … aber versuchen Sie, so gut es geht, ein Gefühl von „Bühne und Zuschauer“ zu vermeiden (:135) – Spiritualität und Kunst: Er plädiert dafür alte und junge Menschen im Gottesdienst vorkommen zu lassen, Frauen und Männer, Kinder und Familien – für alle Sinne: Anbetung, Kollekte als Anbetung, viele weitere Ideen (:158)
    Das Problem ist, dass wir in einer Gesellschaft leben, die Zuschauer hervorbringt … Der Gottesdienstzuschauer ist und bleibt ein Widerspruch in sich.
    (:151)
  • Anschließend gibt er Tipps zum Predigen (168f). Beruhigend hier: Der Heilige Geist ist die wahre Quelle einer guten Predigt, die die Menschen bewegt. Weil die Herausforderung zu predigen heute größer ist als in der Vergangenheit, dürfen wir das auf keinen Fall vergessen (:195).
  • Tipps zum Evangelisieren: 197f – gute Gegenüberstellung von moderner und postmoderner Evangelisation: 201 – Ziel ist es Leute zum Reich Gottes einzuladen, in eine Gemeinschaft – belong/believe/behave als jahrelanger Prozess (206) – Betonung von Gemeinschaft, statt Event (206)
    Eine Gemeinde braucht keinen Arbeitsbereich für Mission und Evangelisation, wenn ihre Mitglieder sich alle als Menschen mit einer Mission betrachten, sowohl lokal als auch global. (207)
    ja und nein, finde ich, denn man braucht ja auch gute Projekte, um Menschen zu erreichen, die keine christlichen Freunde haben.
    Wir müssen bei allem, was wir tun, evangelistisch denken. (:209)
    Eine wirklich evangelistische Gemeinde ist eine Gemeinschaft, die tiefer in der Bibel verwurzelt ist, mehr betet, die die Menschen in ihrer Umgebung mehr liebt. (209)
  • Im Kapitel „Geistliches Wachstum“ plädiert er anhand Hebr 5,12-14 für Selbstverantwortung: In Vers 14 heißt es, dass die Erwachsenen selbst – und kein anderer Mensch oder eine andere Institution – für ihr geistliches Wachstum verantwortlich sind …
    Wir müssen den Menschen beibringen … wie sie unter der Woche aus der Bibel leben und „Nahrung gewinnen“ können … (222f)
  • Sehr interessant auch das Kapitel „Leiten in der Emerging Church“ (226f): Wenn ich ein buddhistisches Oberhaupt treffe, habe ich einen heiligen Mann vor mir. Wenn ich einen christlichen Leiter treffe, sehe ich einen Manager. (230)

10.01._Kimball_Emerging Church – die postmoderne Kirche

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